Die Parteitagsdramaturgie

SZ:

Doch obwohl in diesem Jahr alles anders ist, obwohl in den USA ein Virus wütet, das mehr als 160 000 Menschen getötet und Millionen arbeitslos gemacht hat, halten die Demokraten an einer traditionellen Parteitags­dramaturgie fest. Das Ereignis wird zum Großteil aus Reden bestehen, wobei das politische Gewicht der Rednerinnen und Redner zunimmt, je später es wird. Die Hauptredezeit liegt in diesem Jahr zwischen 21 und 23 Uhr amerikanischer Zeit. Zu dieser Zeit werden unter anderem Michelle und Barack Obama sprechen, Hillary und Bill Clinton, Vizekandidatin Kamala Harris – und natürlich, am Donnerstag zum Abschluss, Joe Biden.

Was bisher niemand weiß: Werden die Leute zuschauen? Wollen die Amerikaner wirklich wissen, was der Senator X oder die Senatorin Y über Biden und Harris zu sagen hat? Oder schauen die Bürger nur am Mittwochabend kurz rein, wenn die Popsängerin Billie Eilish ihren Auftritt hat, sofern sie die kennen?

„Wenn die Demokraten die Gelegenheit verpassen, bei ihrem Parteitag einen Rentner auftreten zu lassen, der deswegen seine Medikamente zu spät bekommt, oder einen Veteranen, der einen Scheck nicht kriegt, oder eine Oma, die ihre Geburtstagskarte nicht bekommt – dann können sie gleich einpacken“, twitterte vor einigen Tagen der rechtskonservative Publizist Bill Kristol, der Trump leiden­schaftlich verachtet. „Sie könnten auch die Familie von einem jungen Menschen auf die Bühne bringen, der an Covid gestorben ist, weil der Präsident erzählt hat, das sei keine große Sache“, ergänzte die Politikwissenschaftlerin Rachel Bitecofer, deren Wahlanalysen zu den besten auf dem Markt gehören. „Aber“, so schob sie resigniert nach, „sie werden es nicht tun.“

Jedenfalls findet sich im bisherigen Parteitags­programm nichts davon. Da stehen die Clintons und die Obamas. Auch Bidens innerparteiliche Gegner aus den Vorwahlen dürfen fast alle einige Minuten reden, selbst wenn ihre Namen längst vergessen sind. Oder wer erinnert sich noch an Pete Buttigieg und Amy Klobuchar?

Stattdessen wird Billie Eilish singen, deren Musik selbst in bewundernden Rezensionen zumeist mit dem Adjektiv „depressiv“ beschrieben wird. Das passt vielleicht zur Stimmung in den USA. Ob es als Soundtrack für den demokratischen Wahlkampf 2020 taugt, ist eine andere Frage.

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