Sabine Rennefanz, Der Spiegel:
Die Welt, die sich die westliche nennt, hat einen neuen Helden gefunden: Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine. Im »New Yorker« vergleicht ihn der Chefredakteur, David Remnick, mit Winston Churchill, dem britischen Kriegsherrn. Die polnische Ausgabe von »Newsweek« nennt ihn die »Leitfigur des freien Westens«.
In der »New York Times« schreibt die feministische Autorin Maureen Dowd, dass Selenskyj alles dafür tue, damit der Eiserne Vorhang nicht wieder fällt. Es klingt, als sei Selenskyj eine geradezu mythische Figur, wie Atlas aus der griechischen Sage, der den Himmel auf seinen Schultern trägt. Wenn er loslässt, bricht die Welt zusammen.
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Es liegt etwas Unmoralisches im Beobachten von fremdem Mut und fremdem Risiko, das hat Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch »Zinkjungen« geschrieben. Der Satz fällt mir ein, wenn ich die Reaktionen auf Selenskyj betrachte. Mir ist diese Heldenverehrung unheimlich. Mich erschreckt eher, mit welcher Einmütigkeit und Kritiklosigkeit der ukrainische Präsident gefeiert wird. Das sagt allerdings weniger etwas über den Mann aus, als über den Teil der Welt, der sich als Westen begreift.
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Als Deutsche, die nun in dritter Generation die schweren seelischen und körperlichen Folgen von Krieg und Vertreibung aufarbeiten, die sich von Generation zu Generation weiterreichen, sollte man dafür empfänglich sein und die Not der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht zum Heldentum stilisieren.
Aber es ist wahrscheinlich einfacher als zu sagen: Ich fühle mich hilflos, erschüttert und traurig. Insofern wirkt die Heldenstilisierung eher wie eine Selbstberuhigungsdroge.