Sigmar Gabriel:

Wohl noch nie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das transatlantische Verhältnis – präziser: das Verhältnis Deutschlands zu den USA – so schlecht wie derzeit. Natürlich gab es auch früher politische Spannungen und auch große Konfliktthemen zwischen Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen mit den Vereinigten Staaten – und umgekehrt.

Vietnamkrieg, die Unterstützung diktatorischer Regime in Lateinamerika, der Streit um den Nato-Doppelbeschluss oder der zweite und völkerrechtswidrige Irak-Krieg, um nur einige Beispiele zu nennen.

All diese zum Teil schweren politischen und auch wirtschaftlichen Auseinander­setzungen änderten aber nichts an der prinzipiellen Überzeugung, zu einem gemeinsamen Bündnis zu gehören: dem des Westens.

Der Begriff war dabei nie nur geografisch gemeint, sondern im Gegenteil: sein universalistischer Inhalt zielte auf die Idee von Demokratie, Freiheit, Rechts­staat­lichkeit und Gewaltenteilung als Grundprinzipien für das Zusammenleben aller Menschen in allen Regionen der Welt ab.

Ob es die Grundrechte der Bundesrepublik Deutschland waren, die Ideen der Auf­klärung und der französischen Revolution oder die Werte der Verfassung der USA: Sie schreiben jedem einzelnen Menschen Freiheitsrechte zu, die ihm nicht durch einen Staat verliehen und deshalb auch nicht entzogen werden können. Deren Inhalte auch nicht mal eben staatlich zu relativieren waren, wenn es scheinbar dem Staats­interesse dienlich erschien, sondern die des Menschen unveräußerliches „Eigentum“ sind – schlicht, weil er ein Mensch ist.

Das alte westliche Bündnis sah seine Auf­gaben in der Verteidigung der Ideen von Freiheit und Demokratie, aber eben auch in der wirtschaftlichen und sozialen Aus­gestaltung und Weiterentwicklung seiner Länder. Beides, so die jahrzehntelange Überzeugung, könne man nur gemeinsam erreichen.

Das Problem im deutsch-amerikanischen Verhältnis sind nicht alle diese Einzel­maß­nahmen, obwohl gerade der Drohbrief amerikanischer Senatoren an deutsche Kommunalbeamte und Hafenarbeiter ebenso unfassbar arrogant wie dumm ist.

Die Absurdität dieses Vorgangs zeigt sich, wenn man sich kurz einmal vorstellt, eine Handvoll Bundestagsabgeordneter oder drei Ministerpräsidenten des Deutschen Bundesrates hätten einer Hafenstadt in den USA einen ähnlichen Brief geschrieben, weil bei bestimmten Importprodukten europäisches Recht den Handel damit verbietet.

Die Zahl und die Schärfe der Konflikte zwischen Deutschland, aber auch zwischen Frankreich und den USA sind aktuell ohne Beispiel. Und auch unter einem neuen Präsidenten Joe Biden wird es nicht einfach sein, all diese Konflikte wieder zu befrieden oder zu lösen.

Bookmark the permalink.