Nibelungentreue

Wolfgang Streeck, Frankfurter Rundschau:

Ukrainische Soldaten und ein von Deutschland gelieferter Leopard-2-Panzer in der Oblast Donezk im Osten der Ukraine. © IMAGO/Funke Foto Services

Mit Ausnahme der Ära Brandt galt es in der bundesdeutschen Nachkriegs­geschichte als unbestreitbar, dass es außerhalb der von den USA formulierten Gesamtinteressen eines geeinten „Westens“ ein speziell deutsches Interesse nicht geben könne und dürfe, und schon gar nicht im Bereich der nationalen Sicherheit. Wer das anders sah, wie etwa Egon Bahr, aber auch Genscher, geriet in den Verdacht eines neuen deutschen Nationalismus, geäußert von den Vereinigten Staaten als Mittel zur Wahrung der Bündnisdisziplin.

Dies gilt bis heute, drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges, in denen kein Tag verging, an dem die USA nicht irgendwo in der Welt Krieg geführt hätten, und ungeachtet der Katastrophe der amerikanischen Weltordnungs- bzw. Weltbeherrschungspolitik im Irak, in Afghanistan, in Syrien und Libyen und zurzeit in Palästina – Beispiele einer munter-fahrlässigen Interventionspolitik, die nichts hinterlässt als Chaos. Wagenknechts Aufforderung, im deutschen Interesse aus der amerikanisch bestimmten Ukraine-Strategie auszubrechen und das Verhältnis zu den USA, und damit auch zu Russland, grundlegend neu zu bestimmen, gerade auch angesichts der in einem Jahr absehbar beginnenden zweiten Amtszeit von Donald Trump, erscheint unter diesen Umständen alles andere als abenteuerlich, weit weniger jedenfalls als die immer noch blind den Vereinigten Staaten folgende Außenpolitik der Bundesregierung.

Ω Ω Ω

Der Weg zu Friedens- statt Kriegssicherung führt für Deutschland über seine Befreiung aus dem geostrategischen Klammergriff der Vereinigten Staaten – geleitet, statt von Nibelungentreue gegenüber dem weltpolitischen Herrschafts­anspruch der USA, von nationalen deutschen Überlebensinteressen. Genau darauf läuft die Rede von Wagenknecht hinaus.

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